Assens

2011
1292 / 515 cm, Fotografie auf Ultramesch Gewebe

Art + Architecture, Route du Moulin 9, Espace culturel Assens
Kuratorin: Doris Waelchli

30.04.2011 – 23.07.2011


artecture

Die Beziehung zwischen Kunst und Architektur hat nicht nur eine intensive Tradition seit der Antike, sie verspricht gerade heute wieder spannende Konfrontationen: Durch die wachsende Bedeutung von virtuellen Räumen, wachsender physischer und kommunikativer Mobilität im Alltag, steht die Präsenz gebauter Räume vor besonderen Herausforderungen. Kunst kann dabei als ein Gegenüber mit anderen Freiheitsgraden eine wichtige Rolle spielen: Aufgrund ihrer spezifischen Entwicklung im 20. Jahrhundert steht ihr die gesamte Spanne zwischen Konzept und Materialität zur Verfügung, um Verschiebungen in der Wahrnehmung des Gebauten zu zeigen. Bei einer seiner raumgreifenden zeichnerischen Interventionen in der Kunsthalle Basel meinte der Plastiker Richard Serra einmal im Gespräch: „Ich bin Architekturkritiker“. Historisch bedeutsam ist aber auch die intensive Provokation und Inspiration, die von der Architektur auf die Kunst ausgeht. Das Habitat taucht in vielen plastischen, installativen oder ortspezifischen Arbeiten auf, sie prägt die Häuser, die Abläufe und Szenerien des Ausstellens oder Vorführens von Kunst. Viel umfassender noch verändern architektonische Ansätze die Vorstellungen von Raum, nach denen statische Bilder oder Bewegungsabläufe entstehen.

Die verschmelzende Wortbildung „artecture“ mag andeuten, dass heute im Denken des Raumes auch Reflexe und Überblendungen auftreten, die beide Künste aufs Engste ineinander verschränken und bei denen kaum mehr einzelne Elemente isoliert werden können, die eindeutig der Architektur oder der Kunst zuzuweisen wären. Renate Buser nimmt eine Tendenz der Architektur zur ikonischen Bearbeitung der Fassade auf, indem sie auf Zeit wandfüllende fotografische Einblicke in den Baukörper an die Aussenfront der gebauten Volumen setzt: Ein schwarzweisser Bildausschnitt aus dem Innenraum der Kirche von Assens, die monumentale Ansicht eines Rundbogenfensters und der Fensternische im Halbprofil, überzieht die schlanke, rechtwinklige Front des Kirchturms zur Strasse hin. Nur das Dach und die Rundung der Holztüre durchbrechen noch die perspektivische Illusion eines Innenraums im Aussenraum und erinnern daran, dass dieses gigantische Bild im öffentlichen Raum kein gewöhnliches Billboard, sondern ein subtil ausgewähltes Moment des markanten Gebäudes geworden ist. Durch die Verschränkung von Innenraum und Aussenraum entsteht eine dritte Form von Räumlichkeit, die ganz real und imaginär zugleich ist. Mit der Perfektionierung der räumlichen Illusion geht auch deren tiefgreifende Irritation einher. Das kaschierte Gebäude wechselt in seiner Dimension fortwährend zwischen Monument und Modell. Das Schwarzweissbild schafft zudem eine zeitliche Distanz, als würde ein aus der Erinnerung aufblitzendes Moment gegenwärtig.

Hans Rudolf Reust
Critic
Präsident der Eidgenössischen Kunstkommission